Was die Schiris vom Handball lernen können

Der Handball-Schiedsrichter Jannik Otto hat mehr als 200 Partien in den höchsten deutschen Spielklassen geleitet. Auf dem September-Lehrabend der Stader Fußball-Schiris gab der Fredenbecker einige Kniffe weiter.

Einmal im Monat veranstaltet der Schiedsrichterausschuss im NFV-Kreis Stade einen Lehrabend für seine Schiedsrichter - um aktuelle Themen zu besprechen, eine einheitliche Regelauslegung zu gewährleisten und das Miteinander zu fördern. Soweit die offizielle Definition.

„Und ab und zu laden wir jemanden ein“, sagt Marcel Baack, der im Kreis für die Schiedsrichter zuständig ist. Es waren schon Bundesliga-Referees da oder Lehrwarte aus anderen Kreisen. Fußballer unter sich. Beim Lehrabend am Montag war jedoch etwas anders.

Knapp 70 Schiedsrichter, fast alles Männer, sitzen in den Stuhlreihen im Foyer der BBS III in Stade. Vorne referiert Jannik Otto, graues Poloshirt, Jeans, Sneaker. Geht vor der Leinwand auf und ab, während er erzählt, wie er einer der besten Schiedsrichter Deutschlands geworden ist. Wohlgemerkt im Handball.

Pfeifen statt Party in Heinbockel

Der Fredenbecker stellt sich vor: Verheiratet, zwei Kinder, im Hauptberuf bei der Polizei, Schiedsrichter seit 2005. Damals war Jannik Otto 16 und entwickelte großen Ehrgeiz. Er wollte in die Bundesliga und verzichtete auf viel. Während seine Freunde in Heinbockel feierten, blieb er zu Hause, um am nächsten Tag ein Spiel zu leiten.

Inzwischen gehört Jannik Otto zum Elitekader, leitete mehr als 200 Spiele auf DHB-Ebene. Erst am Vortag war er mit Gespannpartner Raphael Piper in der Bundesliga im Einsatz: Lemgo gegen Erlangen. „Erst da haben wir wieder festgestellt, weshalb wir das machen: wegen der Atmosphäre, den Menschen auf der Tribüne, dem Gefühl, ein gutes Spiel abgeliefert zu haben.“

Jannik Otto hatte sofort zugesagt, als der NFV-Kreis Stade für den Lehrabend anfragte. Um ein Thema zu finden, rief er einen prominenten Kollegen an: Patrick Ittrich, Fußball-Bundesliga-Schiedsrichter aus Hamburg und ebenfalls Polizeibeamter. „Wir sind schnell auf das Thema Kommunikation gekommen“, sagt Otto. Wie geht man mit Spielern um? Wie bringt man Entscheidungen gut rüber?

Umgang mit kniffligen Szenen

Jannik Otto dürfte ein geeigneter Experte sein. Denn Studien haben ergeben, dass Handball-Schiedsrichter in einem Spiel zehn Mal so viele Entscheidungen treffen wie ihre Kollegen im Fußball. In Sekundenbruchteilen muss der Unparteiische entscheiden: „Pfeife ich oder pfeife ich nicht? Wenn ich pfeife: Gebe ich eine Strafe? Wenn ich eine Strafe gebe: Welche?“, erklärt Otto. Es ist knifflig.

Doch wie trifft man die richtige Entscheidung, gerade wenn die Situation nicht eindeutig und die Stimmung aufgeheizt ist? „Wenn wir Stress haben, entscheiden wir uns meistens für das Bauchgefühl“, sagt Otto. Und das sei gar nicht verkehrt. Denn diese Entscheidungen basieren auf der Erfahrung, „die wir schon so oft auf dem Feld gemacht haben“.

Gefragt sind Respekt und Ehrlichkeit

Eine Entscheidung zu treffen, ist das eine. Das andere ist, sie gut zu verkaufen. Und da gibt es bestimmte Kniffe. Erstens, Respekt. „Wenn ich keinen Respekt vor dem Spieler habe oder der Spieler vor mir, dann wird es nichts“, sagt Jannik Otto. Der Spieler nimmt dem Schiedsrichter die Entscheidung nicht ab. Was helfen kann: Ehrlichkeit. „Ich wurde noch nie bei einer Fehlentscheidung ausgepfiffen“, sagt Otto. Im Gegenteil, den Fehler zuzugeben, erzeuge Akzeptanz.

Zwischenruf eines Fußball-Schiedsrichters in der ersten Reihe: „Das ist das, was in unseren Amateurligen verloren geht“, sagt dieser: „Die Respektperson Schiedsrichter ist nicht mehr vorhanden.“

Jannik Otto, der Schiedsrichter und Polizist, glaubt, dass das ein gesellschaftliches Problem sei und das schleiche sich zunehmend in den Sport ein. Otto schweift ab, echauffiert sich über den respektlosen Umgang von Profifußballern mit Schiedsrichtern. „Da lobe ich mir den Handball“, sagt er: „Wenn ein Spieler uns gegenüber respektlos ist, gibt es erst eine Ansage“, und wenn die nicht wirkt, folgt eine Zeitstrafe.

Zweiter Kniff: Wahrnehmung. Manchmal wird es stressig, wenn man zum Beispiel durch einen Stau zu spät in der Halle ankommt. „Das ist mir auch schon passiert. Man ist gestresst, kann nicht vernünftig nachdenken“, sagt Otto. Darunter leidet die Wahrnehmung, das Risiko für Fehlentscheidungen steigt. Der Schiedsrichter rät: Störfaktoren ausblenden.

Tipp: Einfach mal Danke sagen

Drittens, Kompetenz. „Wir stellen immer wieder fest, dass nicht alle Trainer und Spieler jede Regel kennen“, sagt Otto. Die entsprechenden Entscheidungen werden angezweifelt. Wie damit umgehen? Da sei Sozialkompetenz gefragt, sagt er. „Ich sollte nicht den Klugscheißer spielen, sondern lieber locker zum Trainer gehen und kurz erklären, warum ich so oder so entschieden habe.“

Dazu passt der vierte Kniff: Verständlichkeit. „Wir gehen davon aus, dass unsere Entscheidungen verstanden werden - ist aber falsch.“ Vielleicht hat der Spieler die Szene aus einem anderen Winkel beobachtet, vielleicht kennt er, wie erwähnt, eine bestimmte Regel nicht. „Man sollte die Kommunikation an den Empfänger ausrichten.“

Und fünftens, Freundlichkeit. Der Schiedsrichter sei in einer Machtposition, sollte aber auf Sprache und Umgang achten, sagt Otto. „Wenn ich mich im Ton vergreife, muss ich mich nicht wundern, wenn der Spieler genauso reagiert.“ Er rät, auch mal Danke zu sagen, etwa dann, wenn ein Spieler zurückzieht und kein Foul riskiert.

Jannik Otto will sich künftig hin und wieder auf den Fußballplätzen in der Gegend blicken lassen. Er ist gespannt, ob seine Zuhörer die Tipps beherzigen.

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Autor: Tim Scholz / Stader Tageblatt